Wer vor 90 Jahren ins Kino ging, bekam mehr geboten als heute. Eine Kapelle, eine Orgel, oder mindestens ein Klavier warteten dort. Das Programm bestand aus zahlreichen Filmen unterschiedlicher Genres. Schon damals war Film ein globales Projekt, Agenturen verkauften laufende Bilder aus Moskau und Paris und Hollywoodstudios produzierten Slapstick, der auch in Europa für Gelächter sorgte. Wer deutsche und französische Kinovorführungen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vergleicht, stößt häufig auf dieselben Filme im Hauptprogramm. Das blieb noch bis weit in die 1930er Jahre so.
Und doch unterschied sich das tatsächlich vorgeführte Abendprogramm in beiden Ländern ganz erheblich. Werbefilme zur regionalen Entwicklung rahmten das Programm in den elsässischen Kinos. In Deutschland stellten sogenannte Kulturfilme sicher, dass politische und weltanschauliche Botschaften das Publikum erreichten. Eine aggressive Propaganda prägte den in Deutschland vorgeführten Blick über den Rhein. Das Kino Oberrhein ist daher ein besonders lohnendes Beobachtungsobjekt für einen historischen und internationalen Vergleich. In den 1950er Jahren kommt Europa in den Blick, nun zeigen sich auch auf der Leinwand Verbindungslinien, die vorher nur im Verborgenen existierten.
Ziel der Tagung ist es, Gebrauchsfilme ins Zentrum einer historischen Analyse zu stellen. Vorfilme, Werbungen und Wochenschauen tragen in hohem Maße dazu bei, „Tatsachen“ sozialer, technischer und wissenschaftlicher Art zu etablieren. Gefragt wird, inwieweit filmische Bilder eine Gedächtnisfunktion erfüllen und in wie weit sie didaktischen Zielen dienen. Bildfolgen, Texttafeln und später die Tonspur sind Kommunikationsformen. Sie spielen ihre mediale Rolle als Vermittler zwischen gesellschaftlichen Gruppen (sozialer, professioneller und religiöser Art) und zwischen den Generationen.
Einen Schwerpunkt der Tagung bildet die Diskussion über Vorführpraktiken und regionale Kinos im Oberrheingebiet. Es sollen Wege zu historischem Filmmaterial in lokalen Archiven aufgezeigt werden. Lehrfilme und Werbefilme der pharmazeutischen Industrie beeinflussten die Entstehung und Verbreitung von Wissen über biologische Zusammenhänge. Ein Themenbereich, der zunächst nicht mit historischem Kino assoziiert wird, drängt sich bei näherer Betrachtung der zahlreichen vorgeführten Gebrauchsfilme in den Vordergrund: Medizinische Aufklärungsfilme. Mit Filmen über Syphilis, Eheberatung, Ernährung, Zähneputzen und Sozialfürsorge wurde die „hygienische Volksbelehrung“ in Deutschland ab den frühen 1920er Jahren zu einem genuinen Bestandteil des abendlichen Kinoprogramms, das mit seiner durchschnittlichen Dauer vom mindestens drei Stunden eine weit wichtigere soziale und kulturelle Rolle spielte, als der vorübergehende Aufenthalt vor den Bildschirmen der TV-Ära.
Die regionalen Unterschiede und zugleich die Gemeinsamkeiten des Erlebnisses Kino aus einer historischen Perspektive herauszuarbeiten, hat sich das EU Interreg-Projekt Rhinfilm zur Aufgabe gesetzt. Die Tagung am 11. und 12. Dezember 2014 dient der Vorbereitung einer gemeinsamen Publikation der Forschergruppen aus Straßburg und Heidelberg. Mit diesem Call for Paper öffnen wir die Veranstaltung für externe Filmwissenschaftler/innen, Historiker /innen und Medizin- und Wissenschaftshistoriker/innen. Bitte senden Sie bis zum 1. November Vorschläge für Ihren Beitrag (Abstracts von max. einer Seite) an:
Kontakt und Anmeldungen :
Für Interessenten aus Deutschland : Gabriele Moser, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Im Neuenheimer Feld 327, Universität Heidelberg: g.moser@umtal.de
en France : Joël Danet, SAGE UMR 7363, Université de Strasbourg : danet@unistra.fr
Reise- und Übernachtungskoten werden nach vorheriger Absprache übernommen.